
Wissen bewahren, teilen, lebendig halten
Warum Wissensmanagement mehr ist als ein Tool
Ein Erfahrungsbericht mit Impulsen für Hochschulen, Universitäten und Teamarbeit im Wandel der Zeit
9. April 2025 – Lesezeit 8 min.
In einer Welt, in der Wandel die einzige Konstante ist, gewinnt Wissensmanagement zunehmend an Bedeutung. Letzte Woche hatte ich die Gelegenheit, ein Seminar zum Thema Wissens- und Ideentransfer zu begleiten. Was zunächst wie ein klassisches Thema aus der Organisationsentwicklung wirkte, offenbarte sich schnell als eine essentielle Grundlage für gelingende Zusammenarbeit. Besonders für Hochschulen und Universitäten, wo generationsübergreifendes Arbeiten, projektbasierte Teams und wechselnde Forschungsgruppen Alltag sind, ist aktives Wissensmanagement ein – viel zu oft vernachlässigter – Schlüsselfaktor.

Warum Wissen verloren geht – und wie wir es verhindern können
Wissen verschwindet nicht nur durch den Ruhestand oder einen Jobwechsel. Es verrinnt oftmals im Alltag. Erkenntnisse, die nicht festgehalten werden, gute Ideen, die nicht weitergetragen werden, Erfahrungen, die im Dialog verloren gehen. Dabei entsteht Wissen nicht automatisch im richtigen Moment. Es braucht Strukturen, eine entsprechende Kultur und eine klare Haltung, um Wissen zu bewahren, zu teilen und lebendig zu halten.
Wissensmanagement beginnt im Kleinen
Wissensmanagement ist kein Tool, das man einsetzt und dann „funktioniert es einfach“. Es gibt auch nicht DIE Methode oder DAS fertige Konzept, das universell wirksam ist – auch wenn das sicherlich wünschenswert wäre 😊. Es beginnt vielmehr im Kleinen und ist Teil einer gelebten Kultur:
- Protokolle in Teamsitzungen: Nicht nur sprechen, sondern auch mitschreiben – und auf Wiedervorlage legen. Was wurde besprochen? Was soll umgesetzt werden? Wer ist verantwortlich?
- Von der Idee zur Umsetzung: Gute Ideen sind nur der Anfang. Erst durch konkrete Maßnahmen mit klaren Zielen und konkreten Zuständigkeiten entsteht echter Mehrwert.
- Willkommenskultur mit Struktur: Neue Kolleg:innen brauchen mehr als einen Arbeitsplatz und Log-in-Daten. Sie brauchen Zugänge zu informellem Wissen, Routinen, aber auch vorhandenen Ritualen (Regeln) und Bezugspersonen. Nachzulesen z. B. in meinem Blogbeitrag Onboarding in Projekten.
- Wissensübergabe bei Abschieden: Ein guter Abschied ermöglicht einen guten Einstieg. Es reicht nicht einfach nur „Tschüs“ zu sagen, sondern es geht darum bewusst einen Raum zu schaffen, in dem Erfahrungen weitergegeben werden können. Und zwar rechtzeitig.
- Silodenken reduzieren: Wer vorab Mechanismen schafft, die den Austausch zwischen Bereichen, Teams oder Personen fördern, kann flexibler auf Unvorhergesehenes (z. B. Ausfall bei Erkrankung etc.) reagieren.
Gerade in der Hochschulwelt, wo Forschungsteams oft projektbezogen arbeiten, Studierende und Mitarbeitende in unterschiedlicher Taktung kommen und gehen, scheint mir das besonders relevant zu sein. Gerade weil ich es oftmals selbst nicht so erlebt habe.
Willkommenskultur als Teil des Wissensmanagements

Eine starke Willkommenskultur ist weit mehr als ein freundliches „Hallo am ersten Tag“. Sie ist ein strategischer Baustein für erfolgreiches Wissensmanagement. Denn neue Mitarbeitende oder Projektpartner:innen bringen nicht nur frischen Wind, sondern sind auch angewiesen auf vorhandenes Wissen. Wer zum Onboarding in Projekten mehr wissen möchte, den verweise ich gerne auf meinen Blogbeitrag zum Thema.
Was eine gute Willkommenskultur ausmacht, möchte ich an dieser Stelle trotzdem nochmal benennen:
- Zugang zu informellem Wissen schaffen: Wer ist wofür die Ansprechperson? Welche Tools nutzen wir? Wo finde ich was?
- Rituale etablieren: Feste Formate wie ‘Lunch & Learn’ – auch bekannt unter dem Namen ‘Brown Bag Meeting’ (informeller Austausch zwischen Kolleg:innen beim gemeinsamen Frühstück oder Mittagessen), Peer-to-Peer-Treffen oder auch digitale Kaffee-Ecken helfen, Orientierung und Zugehörigkeit zu stiften.
- Wissensweitergabe erleichtern: Statt Wissen immer wieder neu zu erfinden, kann es gezielt weitergegeben und weiterentwickelt werden. Wie sagte eine Teilnehmerin: “Nicht immer bei 0 anfangen müssen!” Zum Beispiel durch Wiki-Systeme, Dokumentationsvorlagen oder Tandem-Modelle.
Expert:innen sichtbar machen, Silos aufbrechen
Thema im Seminar war auch der Umgang mit Expertise: Wie vermeiden wir es, dass Wissen nur in Köpfen oder Abteilungen bleibt? Die Antwort liegt nicht darin, Expert:innenwissen zu verallgemeinern, abzusaugen oder die viele Arbeit, die bis zu diesem Punkt investiert wurde, herunterzuspielen. Vielmehr geht es darum, dieses sichtbar zu machen und für andere nutzbar zu gestalten.

- Wer hat welches Spezialwissen?
- Welche Themengebiete sind in welchem Team vertreten?
- Wie können andere darauf zugreifen, ohne die Expert:innen zu überfrachten oder gar das Gefühl zu vermitteln, dass diese danach weniger Expert:innen sind?
Schon einfache Übersichten, Wissenslandkarten, interne Profile oder gemeinsame Wissensdatenbanken können helfen, den ersten Schritt zu gehen.
Struktur UND Kultur: Zwei Seiten derselben Medaille
Wissensmanagement ist kein Entweder-Oder. Es braucht beides: klare Strukturen und eine wertschätzende Kultur.
- Mit Struktur meine ich Rahmenbedingungen, klare und konkrete Ziele, geeignete Transfermethoden und damit verbunden der Zugang zu Tools.
- Mit Kultur meine ich Vertrauen, Offenheit, Dialog- und Lernbereitschaft, Fehlerfreundlichkeit, Verbindlichkeit und eine Führungskraft, die all das ermöglicht.
Die besten Tools helfen nichts, wenn niemand sie nutzt oder kein Raum zur Nutzung zur Verfügung gestellt wird. Und selbst die motiviertesten Teams stoßen an Grenzen, wenn die Strukturen fehlen, um ihr Wissen zu teilen oder die Kultur dies nicht vorsieht.
Haltung: Teilen statt Horten, Zuhören statt nur senden, Wissen sammeln mit Maß und Ziel
Wissensmanagement hat für mich viel mit Haltung zu tun. Teilen statt horten. Zuhören statt senden. Dinge hinterfragen können/dürfen, aber nicht immer gleich alles Neu machen wollen/müssen.
Bei der Frage nach dem Sinn und Unsinn mancher Datenspeicherung höre ich regelmäßig eine sehr geschätzte Kollegin in meinem Ohr, die in solchen Situationen gerne fragte: “Wozu brauchen wir diese Information überhaupt?” Die reflexartige Antwort „Naja, kann ja nicht schaden“ oder “Besser haben als brauchen” ließ sie zum Glück nie gelten – so zumindest meine Erinnerung 😊. Und genau darum sollte es gehen. Nicht einfach alles sammeln, ‘abheften’, archivieren, sondern ein Vorgehen entwickeln, dass gezielt und fragesetellungsleitend ausgerichtet ist. Wahlloses Datensammeln führt schnell zu überfüllten Speichern und zu sogenannten „Datenleichen“ – Informationen, die zwar erhoben wurden, aber am Ende nie genutzt werden – vielleicht auch, weil gar nicht mehr bekannt ist, wo was liegt. Ein unnötiger Ressourcenfresser, der reduziert werden kann, wenn wir uns zu Beginn klar machen: Welche Daten, Informationen, welches Wissen brauchen wir wirklich – und wofür?
Und bewusst Zeit investieren:
- in den Austausch mit Kolleg:innen,
- in die Dokumentation von Erfahrungen,
- in das Wiederfinden von Informationen,
- und den Mut haben nicht mehr benötigtes Wissen/Informationen auszumisten und – ggf. nach einer gewissen Karenzzeit – zu löschen.
Das ist kein ‘Extra’, sondern Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung in Forschung, Lehre und Verwaltung.
Geschichten hinter dem Wissen: Wie Storytelling und Erfahrungsberichte Zugang schaffen können
Ein nicht zu unterschätzender Teil des Wissens liegt in den Geschichten hinter den Fakten. Warum wurde ein bestimmter Prozess so etabliert? Welche Erfahrungen führten zu einer bestimmten Entscheidung? Diese Art von Hintergrundwissen ist besonders schwer greifbar – und für neue Mitarbeitende oft kaum zugänglich, sofern sie nicht schon selbst diese Erfahrung gemacht haben.

Storytelling kann hier eine Brücke bauen: Erfahrungsberichte, Fallbeispiele und Anekdoten machen Wissen lebendig und verständlich. Die Gefahr besteht jedoch dabei, dass solche Geschichten subjektiv eingefärbt sind – und die Wissensträger:innen lieber nichts sagen, um keine Voreingenommenheit zu verbreiten. Um das zu neutralisieren, hilft es, mehrere Perspektiven einzubeziehen, die Geschichten ggf. zu dokumentieren und – wo möglich – gemeinsam zu reflektieren. So werden Narrative nicht zur absoluten Wahrheit, sondern zu einem wertvollen Mosaik aus Erfahrungen, das Orientierung bietet, ohne zu normieren.
Wenn es um Verhalten geht: Was tun mit ‚schwierigem‘ Erfahrungswissen?
„Ich kann das doch nicht dokumentieren – wenn das Person XY liest…“. Ein besonders heikler Bereich im Wissensmanagement ist das Weitergeben von Erfahrungen zu bestimmten Verhaltensweisen einzelner Personen – etwa im Sinne von: ‘Wie tickt Person X?’, ‘Was funktioniert gut im Umgang mit Y?’ oder ‘Was sollte man eher vermeiden?’. Solches Wissen ist oft wertvoll für neue Teammitglieder, aber schwer zu dokumentieren – nicht zuletzt aus Gründen der Fairness, des Datenschutzes und der professionellen Kommunikation.
Die Antwort ist nicht unbedingt, dieses Wissen formal zu dokumentieren, sondern eher, Räume für informellen Austausch zu schaffen. Zum Beispiel in Form von Mentoring, Tandemgesprächen oder Peer-Begleitungen. In diesen Settings kann auch sensibles Erfahrungswissen weitergegeben werden – mit dem nötigen Kontext, der Empathie und der Möglichkeit für Rückfragen.
Gleichzeitig lohnt sich die Reflexion: Was ist faktisch beobachtbar? Was ist Interpretation? Wie können wir differenzieren zwischen Erfahrung und Bewertung? Eine Haltung der Offenheit – gepaart mit professionellem Respekt – hilft dabei, wertvolles Wissen weiterzugeben, ohne Personen auf Verhaltensmuster zu reduzieren oder vorschnelle Urteile zu fördern.
Wenn das Verschriftlichen schwerfällt – alternative Wege der Dokumentation
Gerade das Festhalten von Geschichten, Erfahrungen oder implizitem Wissen ist oft schwierig, da sich manche Informationen nur schwer in Worte fassen lassen. Deshalb lohnt es sich, auch über alternative Formate der Dokumentation nachzudenken:
- Sprachnachrichten oder Audioaufnahmen, z. B. im Rahmen kurzer Interviews
- Video-Statements zu ‚Lessons Learned‘ oder Aha-Momenten
- Grafische Darstellungen, wie Sketchnotes oder Prozesslandkarten
- Moderierte Dialogformate, bei denen Gesprächsinhalte in Echtzeit visualisiert werden
Wichtig ist dabei weniger die Perfektion, sondern die Niedrigschwelligkeit und die Passung.
Praxisimpulse für Hochschulen und Universitäten
- Peer-to-Peer-Formate einführen: Kolleg:innen tauschen sich zu spezifischen Themen auf Augenhöhe aus.
- Mikro-Dokumentation fördern: Lieber kurz und regelmäßig dokumentieren als auf den perfekten Bericht warten.
- Onboarding-Formate mit Mentoring: Neue Teammitglieder bekommen feste Ansprechpersonen für die ersten 100 Tage.
- Erfahrungswissen durch Storytelling sichtbar machen: Was hat in der Vergangenheit funktioniert? Welche „Lessons Learned“ gibt es?
- (Digitale) Wissenslandkarten erstellen: Wer weiß was? Wo ist welches Wissen abgelegt?
Fazit: Wissen braucht Pflege, Raum und die Bereitschaft zum Austausch

Wissen entsteht und lebt nicht von allein. Es braucht Pflege, es braucht Raum, und es braucht Menschen, die bereit sind, in den Austausch zu investieren. Ob durch Protokolle, Maßnahmenpläne, Peer-Austausch oder spielerische Tools – wichtig ist, dass Wissen nicht dem Zufall überlassen wird, sondern ziel(gruppen)gerichtet zur gelebten Praxis wird.
Für Hochschulen, Universitäten und alle, die mit Teams arbeiten, ist das nicht nur ein ‚nice to have‘, sondern ein wesentlicher Bestandteil zukunftsfähiger und nachhaltiger Organisationsentwicklung.
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